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Strahlenkranz statt Sonnensichel über Dreieich

Die partielle Sonnenfinsternis am 31. Mai 2003 in Dreieich-Götzenhain

Erlebnisbericht

Nachdem meine Recherchen für die Beobachtung der partiellen Sonnenfinsternis vom 31. Mai 2003 nur wenige Punkte im Rhein-Main-Gebiet ergeben hatten, wo der Sonnenaufgangspunkt beim Azimut 54° gut zu beobachten sein würde, blieben bis wenige Stunden vor Beginn der Finsternis genau drei Orte übrig, über denen die aufgehende Sonnensichel gut zu sehen sein würde. Auf dem Wingertsberg in Dietzenbach als Sonnensichelaufgang hinter dem Kraftwerk Staudinger, in Dreieich-Götzenhain "im Höchsten" unterhalb von 2 Strommasten, und - am attraktivsten - in Mainz südlich der Laubenheimer Höhe hinter der Frankfurter Skyline. Nachdem ich alle Orte mindestens zweimal besucht hatte, präferierte ich am Abend des 30. Mai schließlich Mainz mit den Reiz einer aufgehenden Sonnensichel zwischen den Türmen der Frankfurter Skyline.

Doch statt des Wunsches nach einer Skyline Eclipse sollte es sich im Laufe des Vorabends der Sonnenfinsternis herausstellen, dass nicht das mögliche Bildmotiv, sondern doch das Wetter die entscheidende Rolle spielen würde. Bereits am Nachmittag hatten sich in der zuvor klaren fast wolkenfreien Luft hohe Gewittertürme gebildet, die in der Höhe sogar in Cirruswolken übergingen, was für die Mächtigkeit dieser Wolken sprach und die Möglichkeit eines Über-Nacht-Verschwindens unwahrscheinlicher  werden ließ. Diverse Wettermeldungen am Abend gaben keine klare Aussage darüber, ob die Sonnenfinsternis am Morgen wohl zu sehen sein würde oder nicht.

Über das Internet verfolgte ich das "Niederschlagsradar" und Satellitenbilder, um den extrem schwachen Zug der Wolken zu verfolgen. Doch es ergab sich kein einheitliches Bild. Sah es am Abend noch so aus, als würde ein Ausweichen in Richtung Würzburg / Nürnberg oder Thüringen erfolgreich sein, zeigte das Bild gegen 2 Uhr MESZ am 31.5. die günstigste Ausweichmöglichkeit in Richtung Karlsruhe an. Gegen 3 Uhr MESZ gab es einen Ring aus Gewittern rund um das Rhein-Main-Gebiet mit einem Durchmesser von ca. 120 Kilometern. Über Dreieich selbst war ein stabiles großes Wolkenloch, und Sterne waren zu sehen. Um eine Horizontaufnahme mit Sonnensichel zu erhalten, musste es da schon eine deutliche Lücke in dem Wolkenring geben. Stünde man am südwestlichen Rand des Ringes, würde sich die längste Strecke Richtung Sonnenaufgangspunkt im Nordosten ergeben. Diese Argumentation sprach wieder für Mainz als Beobachtungsort. Gegen 3:30 Uhr zeigte das Niederschlagsradar aber gerade am ausgesuchten Ort südlich von Mainz Gewitterzellen an, die sich dort verstärkten und teilweise über den Rhein Richtung Odenwald zogen.

Ein Ausweichen in die Gegend westlich von Ludwigshafen oder Karlsruhe, z.B. mit dem Melibocus bzw. dem Königstuhl bei Heidelberg vor der Sonnensichel, schien inzwischen aufgrund der fortgeschrittenen Zeit etwas knapp zu sein. Letztendlich ausschlaggebend, dort nicht hinzufahren, war jedoch die feste Annahme, dass die vielleicht bis zu 12 Kilometer hohen Gewitterwolken am Odenwald auch westlich von Ludwigshafen oder Karlsruhe noch mehrere Grad über den Horizont reichen würden und die aufgehende Sonnensichel verdeckten.

Nachdem die Dämmerung bereits eingesetzt hatte und erste Wolkenstrukturen zu sehen waren, lautete schließlich die Entscheidung, zunächst ins nahe gelegene Götzenhain zu fahren, dort noch einmal die Situation zu bewerten und dann entweder da zu bleiben oder nach Mainz auszuweichen. Die Fahrt an den höchsten Punkt in Götzenhain ("im Höchsten") dauerte nur wenige Minuten. Dort zeigte sich in fortgeschrittener Dämmerung nach Osten hin ein Bereich mit Wolkenlöchern, der bis ca. 6° über den Horizont reichte. Nach Westen in Richtung Mainz war es schwer bewölkt. Die Entscheidung hieß also, da zu bleiben und die Beobachtungsinstrumente aufzubauen. Sollte ich die Sonnenfinsternis nicht sehen, so wäre mir diese Situation doch am liebsten in Dreieich und nicht wo anders (sonst wüßte ich nicht, ob es in Dreiech vielleicht doch hätte zu sehen sein können).

Die Situation in Richtung Nordosten verbesserte sich jedoch nicht, eher verschlechterte sie sich noch. Zeitweise sah es so aus, als würde sich über dem Spessart eher noch etwas zusammenbrauen, als dass die Wolken sich auflösten, dann wieder umgekehrt. Im Osten war die Situation besser. Der Sonnenaufgang rückte näher, doch nicht die Wolkenlöcher im Osten. Inzwischen waren etwa 20 bis 30 Leute am Beobachtungsort, ebenfalls auf der Suche nach einem Blick auf die Sonnensichel, die sich nun gerade über den Horizont erheben sollte.

Sofi-Simulation

Simulation der Sonnenfinsternis vom 31. Mai 2003 in Dreieich-Götzenhain auf Grundlage des Sonnenaufgangs vom 30. Mai 2003

Am 30. Mai 2003 um 05:28 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 75-300mm Canon Zoom mit Canon 2xTele-Converter bei 600mm, 1/45 Sekunde belichtet bei f5,6 (f11) auf Fuji200 Negativfilm, Abdeckung der Sonne nachträglich eingearbeitet.

05:28 Uhr MESZ - Das Maximum der Finsternis mit 87% Bedeckungsgrad bezogen auf den Sonnendurchmesser bzw. 81% bezogen auf die Sonnenfläche, war deutlich zu spüren, doch von der Sonnensichel war weiter nichts zu sehen (Die Simulation zeigt etwa das, was zu sehen gewesen wäre). Eine gleichförmig graue Wolkendecke zog sich vom Horizont bis etwa 10-15 Grad Höhe. Man spürte die Sonne war aufgegangen, aber es war deutlich dunkel, das Gefühl der Sonnenverfinsterung war wieder da.

Finsternismaximum

Wolkensituation während des Maximums der Finsternis

Um 05:28 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 24-85mm Canon Zoom bei 24mm, 1/20 Sekunde belichtet bei f3,5 auf Fuji200 Negativfilm.

Gewitterwolken

Gewitterwolken im Süden

Um 05:40 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 75-300mm Canon Zoom bei 200mm, 1/90 Sekunde belichtet bei f4,5 auf Fuji200 Negativfilm.

Inzwischen hatte der sehr schwache, nicht spürbare Wind offensichtlich gedreht. Das sah man an den Flugzeugen, die den Frankfurter Flughafen anflogen, zuerst von Osten, mit der Chance, ein landendes Flugzeug nahe der Sonnensichel fotografieren zu können, dann aber von Westen, d.h. nun überflogen die landenden Flugzeuge den Beobachtungsort oder auch Gebiete einige Kilometer weit südlich davon, entlang der Gewitterwolken die sich inzwischen im Süden und Westen aufgetürmt hatten. Die wieder größer gewordene Sonne ließ diese nun sich regelrecht aufblasen. Man sah richtig wie sie anschwollen. Doch die Sichel blieb weiter hinter Wolken. Direkt vor der Sonnensichel hatte sich eine breite Trichterwolke gebildet, die bis etwa 10 Grad über den Horizont reichte. Doch noch war Hoffnung da, etwas von der Sonnenfinsternis zu sehen, denn rechts und Links der Wolke war der Himmel inzwischen wolkenfrei bzw. nur dünne Cirruswolken zu sehen.

Über der Trichterwolke bildete sich ein kräftiger Strahlenkranz aus, dessen extreme Schärfe nur durch eine Sonnensichel verursacht werden kann. Länger als jede totale Phase einer Sonnenfinsternis dauert, schien dieser Kranz aus dunklen Schattenstrahlen über dem Osthimmel von Dreieich. Oberhalb der Wolke gab es Kondensstreifen, die von den Strahlen teilweise scheinbar abgeschattet waren. Das ließ auf einen gigantischen Gewitterturm hinter der sichtbaren Trichterwolke schließen, der die Schatten hinter der Trichterwolke bis über die Kondensstreifen legte.

Strahlenkranz

Strahlenkranz

Um 05:47 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 75-300mm Canon Zoom bei ca. 75mm, 1/180 Sekunde belichtet bei f5,6 auf Fuji200 Negativfilm.

Strahlenkranz

Strahlenkranz

Um 06:03 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 75-300mm Canon Zoom bei ca. 100mm, 1/350 Sekunde belichtet bei f8 auf Fuji200 Negativfilm.

Im Laufe der Zeit verblasste der Strahlenkranz. Der obere Rand der Wolke wurde heller. Da er immer noch bei ca. 10 Grad Höhe lag und die Sonne bei etwa 8 Grad um 06:26 Uhr MESZ vom Mond wieder komplett freigegeben werden sollte, sollte man eigentlich nichts mehr von der Sonnenfinsternis sehen können, doch man hatte eine halbe Stunde vor Ende doch noch Hoffnung, das sich etwas daran ändert. Doch das tat es nicht. Es schien gerade so, als ob die Sonne genau um 6:26 Uhr erscheinen würde, oder vielleicht etwas später. Da veränderte sich die Situation zu Gunsten der Wolke und die Sonne blieb weiter verborgen. Erst gegen 6:58 Uhr erschien die Sonne erstmals an diesem 31. Mai über Dreieich-Götzenhain, doch nicht als Sonnenfinsternis, sondern als wieder vom Mond vollständig freigegebene Scheibe.

Sonne

Die Sonne kommt raus über Dreieich-Götzenhain

Um 06:58 MESZ aufgenommen mit einer Canon EOS500N und 75-300mm Canon Zoom mit Canon 2xTele-Converter bei 600mm, 1/1500 Sekunde belichtet bei f5,6 auf Fuji200 Negativfilm.

Das Gefühl der Enttäuschung herrschte vor, hatte ich doch wieder das Finsternis-Gefühl gespürt, diese Fremdheit, die der Mondschatten über die Landschaft legt, und doch nicht einmal einen einzigen Blick auf die verfinsterte Sonne werfen können. Mit Höhersteigen der Sonne verbesserte sich das Wetter. Die Sonne schien und es war ein weiterer tropischer feuchtheißer Tag über dem heimatlichen Dreieich. Eine Situation die ich eher aus der Karibik oder Mittelamerika kenne als von hier. Doch die Enttäuschung wäre wohl noch größer gewesen, wäre eine weite Reise notwendig gewesen, um dann die Erlebnisse dieses frühen Morgen des 31. Mai 2003 zu machen. Auf jeden Fall wurde noch vor Ort darüber gesprochen, wann denn die nächste ist: Am 3. Oktober 2005 ist die ringförmige Sonnenfinsternis von Spanien auch in Dreieich, und zwar wieder partiell, zu sehen.

Stephan Heinsius, Dreieich, 31. Mai 2003.

Ergänzung um Bilder am 03. Juni 2003, Ergänzung um Simulation am 04. Juni 2003.

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